Im zweiten Teil erklärt Prof. Dr. Forsthofer, wie ein Remote-Rückzug Produktivität und Unternehmenskultur beeinflusst, Konflikte vermeidet und ob veränderte Arbeitsgewohnheiten eine Be- oder Entlastung bringen.
Zwischen Flexibilität und Kontrolle: Der Kampf um die Rückkehr ins Büro Teil 2
Bei IBM soll die Rückkehr ins Büro die Produktivität und Innovation fördern, während bei SAP die Rückkehr damit begründet wird, dass neue Ideen und die Unternehmenskultur im Büro besser gefördert werden können. Ist dies aus psycholog. Sicht schlüssig?
Hier kommt es generell auf die Organisationskultur mit ihren Werten und Normen an. In den angesprochenen Beispielen wird sich die gewünschte Steigerung von Produktivität und Innovation, oder eine Verbesserung der Kultur und mehr Kreativität sicher nicht ergeben, wenn die Mitarbeiter:innen (MA) hier Widersprüche in der Organisationskultur sehen. Wenn sie die Argumentation der Unternehmensführung, dass sie im Büro besser unterstützt und gefördert werden können, als bloße Lippenbekenntnisse erleben und sehen, dass es nur darum geht, sie wieder stärker und enger kontrollieren zu können. Wenn der Wunsch der MA, wenigstens in Teilen auch von zu Hause aus zu arbeiten lediglich „weggebügelt“ wird, wird dies die Zufriedenheit und Motivation der MA mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht positiv sondern negativ beeinflussen.
Bei SAP führte die Umstellung auf Büropräsenz zu Unmut, was zu einem Kompromiss von zwei Tagen Homeoffice führte. Wie können Unternehmen solche Konflikte vermeiden und gleichzeitig ihre strategischen Ziele umsetzen?
Unternehmen sollten die Zufriedenheit und die intrinsische Motivation ihrer MA in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit stellen und deren Förderung zur expliziten Führungsaufgabe erklären. Das bedeutet, dass die Bedürfnisse und Wünsche der MA nicht nur am Rande und in strategischen Verlautbarungen erwähnt werden sollten, sondern dass sie umfassend diagnostiziert, also erfragt werden sollten. Das würde zum einen echtes Interesse signalisieren und zum anderen – wenn dann auch konkrete Maßnahmen zu deren Erfüllung getroffen werden – das Commitment zur und die Wertschätzung der Organisation stärken. MA sind nachgewiesenermaßen dann auch für Einschränkungen, Einschnitte oder Kompromisse zu gewinnen, wenn diese ehrlich, authentisch und nachvollziehbar beschlossen und verkündet werden, kurz, wenn sie hier faire Prozesse sehen. Unmut ist dagegen vorprogrammiert, wenn Entscheidungen – wie so oft – ohne Beteiligung der MA von der Unternehmungsführung bzw. dem oberen Management getroffen und dann lediglich ex cathedra verkündet werden. Dies spiegelt keine Unternehmenskultur wider, die sich moderne, v. a. junge MA wünschen und wozu insbesondere auch gehört, mit den eigenen Wünschen, Bedürfnissen und Ansprüchen ernstgenommen zu werden!
Welche psychologischen Auswirkungen hat die Rückkehr ins Büro auf Mitarbeitende, insbesondere nach längeren Phasen der Remote-Arbeit? Inwiefern könnten veränderte Arbeitsgewohnheiten zu einer Be- oder Entlastung führen?
Die meisten MA, aber auch die meisten Führungskräfte (FK) haben durch die (teilweise erzwungene) Arbeit zu Hause sowohl positive als auch negative Lernerfahrungen gemacht. Die größere Flexibilität, die eine Arbeit im Homeoffice bietet und v. a. die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird in den vielfach durchgeführten Befragungen von einer überwiegenden Zahl der MA als sehr positiv bewertet. Auch viele FK berichten von einer gelungenen Zusammenarbeit mit MA im Homeoffice, die engagierter, motivierter und kreativer gearbeitet hätten. Diese FK stehen einer Aufrechterhaltung von Homeoffice-Möglichkeiten auch sehr aufgeschlossen gegenüber, weil sie offensichtlich einen guten Führungsstil entwickelt hat, mit dem sie Ihre MA auch auf Distanz erfolgreich führen können und sich dabei auch selbst sehr wohlfühlen. Sie loben explizit eine gestiegene Motivation, eine bessere emotionale Gestimmtheit, eine stärkere Eigeninitiative und die gestiegene Kreativität ihrer MA bei der Arbeit von zuhause aus. Diesen FK scheint es auch gelungen zu sein, die sozialen Beziehungen und Interaktionen in ihren Teams auch während der Homeoffice-Phasen vital zu halten. Diese positiven Effekte werden sich natürlich nicht – zumindest nicht automatisch – halten, wenn die MA wieder permanent in die ursprüngliche Arbeitsstruktur mit den entsprechenden Arbeitsabläufen und -prozessen in die Büros zurückbeordert werden. Geschieht dies explizit gegen den Willen der MA, verschwinden oft nicht nur diese positiven Effekte, sondern es stellen sich vielmehr negative Effekte auf die Zufriedenheit und Motivation der MA ein, die bis hin zum bekannten psychologischen Phänomen der „Reaktanz“ reichen können. Dabei versteht man das in vielen Studien gut belegte Phänomen, dass Menschen bei einer wahrgenommenen Beschränkung oder Beschneidung ihrer Entscheidungsmöglichkeiten allein aufgrund dieser Beschneidung Widerstand entwickeln und Gegenmaßnahmen ergreifen, um ihre Freiräume zurückzugewinnen.
Allerdings gibt es auch Berichte über negative Auswirkungen, denen man sich ebenfalls stellen muss. Nicht alle MA waren (zumindest anfänglich) im geforderten Maße in der Lage, die neuen organisationalen Herausforderungen zu meistern und genauso kreativ und produktiv zu sein wie im Büro und nicht alle FK kamen mit den neuen Führungsanforderungen gut zurecht. Insbesondere die sozialen Beziehungen von MA in Teams, die plötzlich alle zuhause arbeiten mussten, haben vielfach gelitten oder sind verkümmert, nicht zuletzt auch, weil das Management dieser Beziehungen durch die FK vernachlässigt wurde oder nur unzureichend gelang. Eine weitere Rolle spielen gestiegene psychische und physische Belastungen, etwa durch Selbstüberforderung (wenn bis in den Abend hinein gearbeitet und bspw. Mails beantwortet wurden), durch ein generell fehlendes oder schlechtes Pausenmanagement, wenn die MA ständig bei ihrer Arbeit gestört oder unterbrochen wurden, durch einen fehlenden, geeigneten Arbeitsort zuhause sowie durch unzureichende ergonomische Arbeitsbedingungen, wenn MA den ganzen Arbeitstag mit dem Laptop am Küchentisch verbrachten. All diese Dinge sind unbedingt zu berücksichtigen, wenn über produktive und erfolgreichen Homeoffice-Tätigkeit nachgedacht wird. Ein Learning daraus könnte sein, dass FK die neu entwickelte „längere Leine“, mit der sie die MA führen, auch bei der Büroarbeit beibehalten und dass die MA dort, wo ihnen Homeoffice-Möglichkeiten gewährt werden, in vielfältiger Weise unterstützt werden, und zwar mit Trainings zur Organisation eigenständigen Arbeitens bis hin zur Unterstützung bei der Einrichtung und Gestaltung ergonomischer Arbeitsbedingungen.
Viele Mitarbeitende schätzen die Flexibilität, die das Homeoffice bietet. Welche Folgen hat eine erzwungene Rückkehr ins Büro für die Motivation und das Engagement der Mitarbeitenden?
Wie neuere Erhebungen zeigen (u. a. Hans Boeckler Stiftung, Bayerisches Forschungsinstitut für digitale Transformation, destatis) will die Mehrheit der MA, für die die Arbeit von zuhause aus grundsätzlich möglich ist, weder permanent im Homeoffice noch permanent im Büro arbeiten. Die meisten wünschen sich vielmehr einen Mix aus Präsenz- und Homeoffice-Arbeit, wobei die jeweiligen Anteile hier durchaus unterschiedlich sind. Das Gros der Befragten würde eine Kombination aus 2-3 Arbeitstagen im Büro und den Rest im Homeoffice präferieren. Werden diese Wünsche bzw. Präferenzen der MA nicht berücksichtigt, sondern einfach die Rückkehr ins Büro ohne Homeoffice-Möglichkeit angeordnet, ist mit hoher Unzufriedenheit und damit einhergehend mit deutlichen Motivationsverlusten zu rechnen, die bis hin zur bereits erwähnten psychischen Reaktanz oder sogar zum Wechsel zu einem anderen Arbeitgeber reichen können, der flexiblere Arbeitsmöglichkeiten bietet.
Welche langfr. psychologischen Effekte erwarten Sie durch den aktuellen Wandel hin zu hybriden Arbeitsmodellen? Welche Empfehlungen haben Sie für Unternehmen, die den Balanceakt zw. Remote-Arbeit und Präsenz aus psycholog. Sicht optimal gestalten möchten?
Der Wunsch vieler MA, zumindest einen Teil ihrer Arbeit auch im Homeoffice zu erledigen, wird dort, wo dies möglich ist, dauerhaft bleiben. Unternehmen wie Führungskräfte (FK) werden sich diesem nicht gänzlich verschließen können, wenn sie gut ausgebildete und hochmotivierte MA gewinnen und v. a. auch im Unternehmen halten wollen. Im Idealfall entsteht daraus ja auch eine echte Win-Win-Situation. Wir wissen aus vielen Studien zu neueren Forschungsthemen aus der positiven Psychologie und der Positive-Leadership-Forschung wie bspw. zur Frage nach der Wirkung von größeren Tätigkeits-, Entscheidungs- und Kontrollspielräumen und damit der Gewährung von mehr Partizipation und Autonomie, nach der Bedeutsamkeit des Erlebens von Subjektivem Wohlbefinden (Subjective Wellbeing), dem Fördern von Flow-Erleben bei der Arbeit oder der Herstellung einer guten Work-Life-Balance, dass moderne und v. a. junge MA diesen Dingen eine sehr hohe Bedeutung beimessen. Und viele Forschungsarbeiten hierzu zeigen bereits, dass wir vielfältige positive Auswirkungen sehen, etwa auf die Motivation der MA, deren Kreativität, deren Leistungsbereitschaft und deren Leistung selbst bis hin zur Begeisterung und zur Bereitschaft, auch außergewöhnliche Leistungen zu erbringen, wenn die angesprochenen Bedürfnisse und arbeitsbezogenen Themen im Unternehmen und von den FK unterstützt und gefördert werden. Und motivierte, engagierte, kreative und hochleistungsfähige MA mit einem starken Commitment zur Organisation ist letztlich „das größte Kapital für ein Unternehmen“, was gerade in Zeiten des vielzitierten Fachkräftemangels sehr ernst genommen und nicht nur als Worthülse kommuniziert werden sollte. Und gerade die angesprochene Balance aus Präsenz- und Homeoffice-Arbeit bietet dort, wo die MA dies wünschen und wo dies möglich ist, ein enormes Potenzial, um diese beiderseitigen Vorteile und positiven Effekte zu realisieren.
Vielen Dank, Herr Prof. Dr. Forsthofer, für diese wertvollen Einblicke!
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