Regelmäßig wird vor dem Einfluss digitaler Echokammern gewarnt. Prof. Dr. Tennert ordnet ein, wie gefährlich Echokammern tatsächlich sind warum sie häufig überschätzt werden.
Alarmismus oder reale Gefahr? Das Phänomen digitale Echokammern auf dem Prüfstand
Der Begriff der Echokammer hat seit dem Aufkommen sozialer Netzwerke an Popularität gewonnen. Regelmäßig wird vor ihrem Einfluss auf den gesellschaftlichen Diskurs gewarnt. Prof. Dr. Falk Tennert ist Professor für Wirtschaftspsychologie mit dem Schwerpunkt Medien und Kommunikation an der SRH Fernhochschule. Im Interview beleuchtet er mit uns das Phänomen der Echokammern und erklärt, warum ihr Einfluss häufig überschätzt wird.
Prof. Dr. Tennert, was sind Echokammern?
Echokammern entstehen, wenn Mediennutzer Inhalte sozialer Medien entsprechend der eigenen Präferenz filtern und ihre Informationsumwelt durch Algorithmen so personalisieren, dass sie sich überwiegend nur noch den Themen und Positionen zuwenden, die sie selbst vertreten und sich hierüber mit anderen austauschen.
Der Begriff erlebt seit einigen Jahren vor allem im Kontext sozialer Medien eine regelrechte Modephase, obwohl das zugrunde liegende Phänomen deutlich älter ist. Auch in der Vergangenheit existierten analoge Echokammern mit teilweise extremen oder geschlossenen Weltsichten. Reichweite, Schnelligkeit und Vernetzungsgrad sind jedoch in analogen Räumen deutlich geringer ausgeprägt als in sozialen Medien; dadurch werden in der öffentlichen Wahrnehmung eher Gefahren als positive Effekte von Echokammern gesehen.
In der Medienwirkungsforschung beschäftigt man sich seit vielen Jahrzehnten mit den Prozessen der selektiven Medienzuwendung. Dort wird der Prozess unter dem Begriff Selective Exposure diskutiert und erforscht.
Man hört in diesem Zusammenhang auch oft den Begriff der „Filterblase“. Ist dies das gleiche wie eine Echokammer oder worin liegt der Unterschied?
Das sind zwei unterschiedliche Phänomene, die mitunter im öffentlichen Diskurs fälschlicherweise synonym gebraucht werden. Filterblasen sind individuumszentriert und entstehen um eine einzelne Person herum; hier wirken zwei Prozesse der Personalisierung, erstens die algorithmische und zweitens die nutzergesteuerte. Filterblasen werden durch Algorithmen auf der Basis des bisherigen Nutzerverhaltens generiert und schlagen Inhalte vor, die den Präferenzen der User entsprechen. Dies führt, so die Annahme, in der Konsequenz zur Konfrontation mit Inhalten und Positionen, die weitgehend den eigenen Ansichten entsprechen. Echokammern im Sinne homogener Diskursräume entstehen durch eine Vielzahl an Mediennutzern. Hier kommen zusätzlich noch gruppendynamische Prozesse ins Spiel.
Welche Effekte haben Echokammern auf uns und die Gesellschaft?
Die Frage nach den Wirkungen wird seit der Verbreitung sozialer Medien seit etwa 15 Jahren intensiv erforscht. Man vermutet, dass Echokammern einen dysfunktionalen Einfluss auf die Gesellschaft haben. Häufig werden hier Schlagworte wie Fragmentierung und Polarisierung genannt. Zunächst muss man die möglichen Effektebenen differenzieren. Zum einen existieren individuelle Effekte hinsichtlich der Informationsauswahl und -wirkung, die dem Phänomen der Filterblase entsprechen.
Schauen wir uns zum anderen Gruppen- und Gesellschaftseffekte an, also die Meso- und Makroebene, kommt das Phänomen der Echokammer ins Spiel. Hier werden jedoch die Nachweise von Wirkungen, auch aus methodologischer Sicht, deutlich schwieriger. Die Annahme negativer Wirkungen auf die Gesellschaft wird zudem gerne von Netz-Aktivisten oder einschlägigen politischen Milieus formuliert; da steckt schon viel unbegründeter Alarmismus dahinter.
Was zeigt die aktuelle Forschung? Gibt es solche Echokammern tatsächlich?
Die bisherige Befundlage vieler repräsentativer Untersuchungen kann diesen Alarmismus nicht bestätigen. Insgesamt zeigt der Forschungsstand geringe oder keine Effekte für die Herausbildung von Echokammern; einige aktuelle Untersuchungen stellen sogar den Echokammer-Effekt insgesamt in Frage.
Grundsätzlich haben sich Personen schon immer, interpersonal wie medienvermittelt, mit Gleichgesinnten umgeben und Medien genutzt, die ihre Ansichten zumindest tendenziell bestätigten. Damit Echokammern überhaupt entstehen können, müssten Mediennutzer in homogenen Netzwerken dauerhaft eingebunden sein. Gerade soziale Medien sind jedoch durch eine Vielzahl an unterschiedlichen Themen und Kontakten gekennzeichnet, so dass Homogenität eher eine idealisierte Annahme ist. Die tatsächlichen Mediennutzungsmuster der Mehrheit sind eben durch diverse Medienkanäle, Themen und Nutzungsintensitäten gekennzeichnet, was die Herausbildung von Echokammern unwahrscheinlich erscheinen lässt.
Trotz des umfangreichen Medienangebots können partielle Fragmentierungseffekte durch das Teilen von ungeprüften Informationen, bewusste Desinformationskampagnen oder die Erzeugung eines gelenkten sozialen Umfeldes durch Social Bots nicht ausgeschlossen werden. Hier konzentriert sich die Forschung in jüngster Zeit verstärkt auf individuelle Faktoren der Nutzer wie Persönlichkeit, politisches Interesse oder die Selectice Exposure-Neigung. Konkret geht es also darum, in welchem Grad themenbezogenens Involvement, Offenheit, Dogmatismus oder Moralisierung als individuelle Risikofaktoren die Entstehung homogener Diskursumgebungen begünstigen können.
Mehr Informationen zu digitalen Echokammern finden Sie im Sammelband „Psychologie Digital: Chancen und Risiken der Digitalisierung in der angewandten Psychologie“. Über SpringerLink können sich Studierende der SRH Fernhochschule das Buch kostenlos herunterladen.
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Falk Tennert ist Professor für Wirtschaftspsychologie mit dem Schwerpunkt Medien und Kommunikation an der SRH Fernhochschule – The Mobile University. Seine Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte umfassen Forschungsmethoden und Datenanalyse, Medien- und Kommunikationspsychologie sowie Markt- und Konsumentenpsychologie.
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