Unsere Expert:innen im Interview: Prof. Dr. Thomas Ekert, Professor für Data Science, über adaptive KI-Modelle. (Lesedauer: 9 Minuten)
Prof. Dr. Thomas Ekert lehrt Data Science an der SRH Fernhochschule und ist gleichzeitig als IT-Berater für Unternehmen tätig. Vieles von dem, was spätestens seit der Veröffentlichung des Chatbots ChatGPT in aller Munde ist, beschäftigt ihn seit Jahren. Sorgen müssen sich Wirtschaft und Gesellschaft nicht machen wegen der KI, sagt er – Gedanken darüber aber sehr wohl.
Herr Prof. Dr. Ekert, die Analyst:innen bei Gartner haben unlängst die Bedeutung adaptiver künstlicher Intelligenz für den Erfolg von Unternehmen betont. Man erwartet schon in wenigen Jahren klare Vorteile für jene Firmen, die auf diese neuen Technologien setzen. Sehen Sie das auch so?
"Ein Begriff wie adaptive KI wird gern auch mal aus vertrieblichen Gründen verwendet. Adaptiv, also anpassungsfähig, ist die KI aber nicht von allein. Man kann diese Modelle auf verschiedene Art trainieren, etwa mit Online Learning, Reinforcement Learning oder durch Human in the Loop. Das bedeutet, dass da tausende Expert:innen aus diversen Fachbereichen sitzen und mit dem System interagieren. Das ist nicht neu, gewinnt aber mit den neuen Sprachmodellen zunehmend an Bedeutung, denn diese Modelle neigen dazu zu halluzinieren. Das heißt, sie erzeugen zwar aufgrund der statistischen Natur der Modelle wahrscheinliche – aber doch erfundene – Inhalte."
Also ist man bei Gartner zu optimistisch, was die Fähigkeiten – und damit auch die Potenziale – adaptiver KI betrifft?
"Mir fehlen in der Diskussion ganz allgemein ein paar grundlegende Punkte. Zum Beispiel macht man sich nicht klar, welche disruptive Kraft in der Digitalisierung steckt. Die hat das Potenzial, einzelne Berufe und ganze Branchen infrage zu stellen. Unternehmen brauchen darum einen kontinuierlichen Change-Prozess, ein agiles und adaptives Management also, um mit diesen Veränderungen klarzukommen. Das galt für technologische Neuerungen schon immer, bei der KI aber umso mehr. Diese ist nämlich in der Produktion und bei uns Endverbraucher:innen angekommen, ist aber immer noch hochgradig fluid und ändert sich wahnsinnig schnell."
Wie sollten sich die Unternehmen darauf einstellen?
"Wir brauchen Engineering, ja. Aber noch mehr brauchen die Unternehmen eine individuelle Datenstrategie. Sie sollten sich nicht überlegen, welche neuen Technologie sie wie einsetzen könnten, weil sie jetzt halt da sind – sondern sich fragen, vor welchen Problemen sie stehen und welche Technologie dafür Lösungen verspricht. Datenanalyse ist der Blick in die Vergangenheit, mit dem man Schlüsse für die Gegenwart gewinnen will. KI und Machine Learning dagegen sind prädikative Modelle, die in die Zukunft sehen. Diese Zukunft holt uns aber bereits ein, weil wir die Modelle schon jetzt auf die Parameter von morgen anpassen müssen. Nicht nur die KI entwickelt sich, auch die Programmierer:innen und Ingenieur:innen müssen sich weiterbilden. Es bleibt ein andauernder Prozess."
Bei Begriffen wie Digitalisierung und neuen Technologien denkt man bei Deutschland nicht gerade an ein Vorbild.
"Was die Digitalisierung allgemein betrifft, haben die Unternehmen hierzulande inzwischen ein sehr gutes Change-Management. Das sind längst rationale und industrialisierte Prozesse – ganz anders als noch zu meinen Anfangstagen als Programmierer. Hier sind wir also gar nicht so schlecht aufgestellt. Aber die KI stellt uns vor ganz neue Herausforderungen. Wir wissen noch gar nicht, wo es damit hingeht. Das ist aber gleichzeitig eine Chance für Unternehmen. Wer schnell ist, kann neue Märkte erschließen."
Wie kann den Unternehmen das gelingen?
"Es ist wichtig, Pionierleistungen in den Prozessen zu ermöglichen. Das passiert auch längst. Software-Entwicklung ist Stand heute noch immer eine hochkreative Arbeit. Unternehmen brauchen aber schnell stabile und fehlerfreie Prozesse. In der klassischen Softwareindustrie begleiten etablierte Methoden Innovation, Qualitätssicherung und Refactoring und sorgen für Stabilität. Diese Verfahren gibt es in der Entwicklung von KI Modellen naturgemäß noch nicht. Es handelt sich dabei nach wie vor um Forschung, die sich rasant weiterentwickelt. Die Unternehmen benötigen also eine Datenstrategie und Konzepte, die es ihnen erlauben, solche volatilen Entwicklungen zu nutzen. Gleichzeitig brauchen sie Methoden, um nicht an unerwarteten Ergebnissen oder Fehlentwicklungen zu scheitern. Ebenso genügt es nicht mehr, ein KI Modell für eine Fragestellung zu entwickeln. Solche Lösungen müssen auch im Sinne der Datenstrategie kontinuierlich hinterfragt und weiterentwickelt werden."
Trotzdem ist seit dem Erscheinen von ChatGPT KI in aller Munde. Was macht ausgerechnet dieses Modell so faszinierend?
"Vor ChatGPT war für die Interaktion mit einer Software immer eine vorgeformte Oberfläche nötig. Wie man die zu bedienen hatte, musste man erst einmal lernen. Jetzt kann ich der Maschine als Mensch begegnen und ganz natürlich mit ihr kommunizieren, indem ich ihr Fragen stelle. Das ist an sich schon beeindruckend, aber die Ergebnisse sind es auch: In erstaunlich vielen Fällen liefert ChatGPT brauchbare Antworten auf komplizierte Fragen – auch wenn die Tendenz zu erkennen ist, dass dies vor allem für Wissensfragen gilt. Gleichzeitig wird enorm viel auf dem Gebiet geforscht. Wir wissen, dass da noch einiges kommt, aber wir wissen nicht, wo die Reise hingeht beziehungsweise wo wir als Gesellschaft eigentlich damit hinwollen. Der viel zitierte Datenschutz ist da nur ein Punkt unter vielen."
Gesellschaften sind ja sehr unterschiedlich. Sind wir in Deutschland und Europa zu streng? Brauchen wir mehr Innovation und dafür weniger Bedenken?
"Generell wird die Menge an Daten noch zunehmen, die von uns Menschen erzeugten Inhalte wachsen rapide. Es ist also richtig und wichtig, sich Fragen zum Datenschutz zu stellen, anstatt das Thema wie andernorts einfach zu ignorieren. Das bremst uns in Europa aber aus im Vergleich zu Ländern wie den USA oder China. Meiner Meinung nach sind unsere Überlegungen durchaus richtig. Es muss uns nur gelingen, unsere Vorstellungen schneller auf die Straße zu bringen. Wir dürfen uns nicht in Diskussionen und Regulierungen verlieren."
Neben der Furcht vor dem Missbrauch der eigenen Daten schürt die KI noch viel mehr Ängste. Sind diese berechtigt? Sie sprachen ja von disruptiven Kräften.
"Die Veränderungen sind da, aber deshalb wird der Mensch nicht automatisch überflüssig. Bei uns an der Hochschule bieten wir Kurse an, die den Studierenden zeigen, wie man KI zur Quellenrecherche nutzt. Das kann sehr sinnvoll sein, aber auch da brauche ich als Mensch die Expertise und die Urteilsfähigkeit, um einschätzen zu können, ob mir die Ergebnisse des Tools etwas bringen oder nicht. Es ist ein Werkzeug, mit dem man umgehen lernen muss. Ich vergleiche das gerne mit den ersten Suchmaschinen. Die richtig zu nutzen, musste man auch erst lernen. Heute sind sie nicht mehr wegzudenken."
Das wird aber nicht allen gleichermaßen gut gelingen, oder?
"Fähigen Leuten werden diese neuen Werkzeuge mehr nützen, das stimmt. Auch werden Berufe verschwinden, das ist aber schon immer so gewesen. Im Austausch mit unseren Studierenden sprechen wir viel über Future Skills, die Fähigkeiten also, die man in der Arbeitswelt von morgen brauchen wird. Wenn ich Ihnen jetzt Begriffe nenne wie Kreativität und Neugierde, aber auch Resilienz oder die bereits erwähnte Urteilsfähigkeit – das sind alles Attribute, die seit jeher wichtig sind im Arbeitsleben. Und sie werden noch wichtiger werden, denn was wirklich neu ist, das ist das steigende Tempo der Veränderungen. Es erfordert Kompetenzen, damit umzugehen."
Was treibt Ihre Studierenden am meisten um in Bezug auf die KI?
"Wenn ich sie im Masterstudiengang Data Science & Analytics erlebe, dann sehe ich Menschen, die alle im Berufsleben stehen, aus ganz unterschiedlichen Bereichen kommen und sich weiterentwickeln möchten. Sie sehen die Dinge pragmatisch und haben großes Interesse an Data Science und KI – auch um diese in ihrem beruflichen Kontext einzusetzen. Viele Unternehmen nutzten ja bereits KI-Sprachmodelle Viele Inhalte, die wir sehen, sind bereits KI-generiert. Was aber ist, wenn wir für die Evolution der KI künftig KI-generierte Inhalte nutzen? Führt das nicht zu einer Verwässerung der Inhalte, weil dadurch Wissen verlorengeht? Crowd-generierten Inhalten wie Wikipedia sagt man Ähnliches nach, denn es ist komplex, Wissen zu kuratieren. Daher arbeiten renommierte wissenschaftliche Verlage mit Review-Verfahren. Zwar versucht man, solchen Tendenzen bei der Entwicklung der KI entgegenzuwirken. Aber die Gefahr der Verwässerung sehe ich dennoch. Konzepte für Review-Verfahren KI-generierter Inhalte stehen noch am Anfang."
Dann befürchten Sie also gerade nicht, dass die KI uns eines Tages überflügeln wird?
"Meine erste Reaktion auf ChatGPT als Anwender war jedenfalls der Gedanke, dass die sprachliche Qualität recht einfach ist. Wie wäre es, wenn nicht nur in die technische Forschung an den Modellen selbst investiert würde, sondern Beispiel auch Autor:innen und Sprachwissenschaftler:innen finanziert würden, um für die Weiterentwicklung der sprachlichen Qualität zu sorgen?"
Greift die KI dafür aber nicht auf Inhalte zurück, die zuvor von Menschen erstellt wurden?
"Vorsicht: Ein Modell wie ChatGPT setzt keine Textbausteine zusammen, sondern nutzt Statistik! Wenn Sie das Tool beauftragen, ein Gedicht zu schreiben, dann berechnet es anhand einer Billarde Parameter, welches Wort am sinnvollsten auf das andere folgt. Das macht die Frage nach dem Urheberrecht komplex, auch das beschäftigt uns an der Hochschule: Wenn unsere Studierenden ChatGPT für das Schreiben von Hausarbeiten nutzen, dann ist das womöglich ein Betrugsversuch – aber eben kein Plagiat. Welches Recht greift dann? Die Texte, die die KI statistisch auswertet, sind ja nicht mit dem Ziel erstellt worden, OpenAI unter die Arme zu greifen."
Dabei sollte die KI doch eigentlich alles einfacher machen für uns.
"Sie ist wie gesagt schon bei uns Anwender:innen angekommen, entwickelt sich aber immer noch rasant. Das macht viele weitere Überlegungen nötig. Dennoch sollte man die Entwicklung nicht verteufeln, sondern lieber den Diskurs anstoßen und pragmatisch führen."
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Prof. Dr. Thomas Ekert
begann seine Karriere 1999 als Inhaber und CTO eines Beratungs- und Softwareentwicklungsunternehmens und ist bis heute als Berater für IT und Digitalisierung tätig. Seinen Bachelor in Wirtschaftsinformatik machte er 2012 per Fernstudium und erwarb im selben Jahr zusätzlich einen Executive MBA in Business Engineering an der Universität St. Gallen in der Schweiz. 2020 folgte die Promotion an der Berliner Charité über "Machine Learning Techniques" im medizinischen Bereich, ehe er 2021 als Professor für Digitalisierung & Data Science an die SRH Fernhochschule berufen wurde.